Farblich gestaltete Holzfassaden mit einem speziellen Begrünungskonzept sollen schon bald das Münchner St.-Vinzenz-Viertel prägen. Unser Projekt VINZENT ist das erste seiner Art im Münchner Innenstadtgefüge und wird damit zum Vorreiter für innerstädtische, nachhaltige Neubauten zum Leben und Arbeiten.
Der Architekt und Stadtplaner Ludwig Wappner vom federführenden Büro allmannwappner erklärt im Interview, warum Holz als Baustoff lange Zeit in Vergessenheit geraten war, was den aktuellen Boom ausmacht und welche innovativen Gedanken und Visionen hinter VINZENT stecken.
August 2022
Der Holzbau-Boom wurde eindeutig ausgelöst durch das wachsende ökologische Bewusstsein in der Gesellschaft. Holz als Baustoff ist so attraktiv, weil wir mit einem nachwachsenden, ressourcenschonenden und kreislaufgerechten Rohstoff arbeiten können. Mit Holz können wir CO₂ in Gebäuden speichern und setzen damit der energetisch aufwändigen Produktion anderer Baustoffe und deren Einsatz ein nachhaltiges und umweltschonendes Statement entgegen. Die CO₂-Bilanz von Holz ist im Vergleich zu anderen Baustoffen unschlagbar gut. Aber Holz ist auch nicht unendlich verfügbar, sodass wir klug mit den Ressourcen umgehen müssen.
Ermöglicht wird der aktuelle Boom auch durch die umfassende Forschung in den vergangenen Jahren Wir verfügen heute über ein sehr großes Wissen, das gepaart ist mit den Jahrhunderte alten, überlieferten handwerklichen Erfahrungen.
Eine weitere große Rolle spielt natürlich die Digitalisierung. Die CNC-Technologie und andere technische Revolutionen waren hier ein echter Quantensprung. Durch technisch basierten Maschineneinsatz kann Holz heute bis auf den Millimeter genau bearbeitet und vorproduziert werden. Der hohe Vorfertigungsgrad von modularen Holzelementen spart viel Zeit und Kosten.
Durch all diese Entwicklungen ist Holz als Baustoff in den vergangenen Jahren wieder sehr interessant geworden – und das Vertrauen in das Material ist enorm gewachsen. Zudem hat Holz auch viele weitere Vorteile, die die Menschen schätzen: Es riecht gut, sieht vertraut aus und fühlt sich in der Regel angenehm an.
Gemeinsam mit Bauwerk wollten wir ein zukunftsfähiges Gebäude errichten, das auch den aktuellen gesellschaftlichen und klimapolitischen Diskussionen gerecht wird. So kamen wir schnell zum Bauen mit Holz, das in Deutschland allerdings gerade im städtischen Zusammenhang vielen komplexen Bauvorschriften und Normen unterliegt. Deshalb konnten wir Holz nicht als alleinigen Baustoff einsetzen. Wir haben daher von Anfang an versucht, so viel Holz wie möglich in Decken, Wänden und Stützen von VINZENT einzuplanen, um den CO₂-Fußabdruck der neuen Gebäudeteile zu verbessern und alle Vorteile des Materials auszuschöpfen.
So haben wir im Office-Teil durch einen Hybridbau und einer kompletten Holzfassade einen maximalen Anteil an Holz einplanen können. In den Wohngebäuden besteht die Fassade komplett aus Holz, die strukturell tragende Grundlage aber bildet ein Betonskelett. Im gesamten Ensemble haben wir den Holzanteil so hoch wie möglich angesetzt, so wie es im Rahmen einer technischen und wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung für die Wohn- und Bürogebäude angemessen darstellbar ist.
Die farbige Holzfassade ist das charakteristischste Merkmal der künftigen Wohngebäude. Welche architektonischen Gestaltungsprinzipien liegen ihr zugrunde und was unterscheidet sie von anderen Holzfassaden?
Mit industriell gefertigten Ornamenten der Holzfassade wollen wir eine handwerkliche und gestaltende Verbindung zu den Gründerzeithäusern in der näheren Umgebung herstellen. Durch die neuen Technologien in der Holzbearbeitung können wir eine Plastizität erreichen, die wir eigentlich sonst nur von Massivbauten mit Putzfassaden kennen. Hinzu kommt die bewusst gewählte farbliche Gestaltung der Fassaden bei VINZENT, die zumindest in Deutschland noch nicht in dieser Art im städtischen Kontext verbreitet ist. Damit unterscheidet sich das Projekt aktuell deutlich von einfacheren Holzfassaden, wie sie bisher schon häufig auch im gewerblichen Bauen verwendet werden.
Inwiefern müssen Sie die architektonische Herangehensweise an ein solches Projekt anders strukturieren und denken als beim konventionellen Bauen mit Mauerwerk oder Stahlbeton?
VINZENT als Holzhybrid-Bau im innerstädtischen, dicht bebauten Gefüge Münchens muss in der Gesamtbetrachtung schon um einiges genauer gedacht und geplant werden als ein herkömmlicher Massivbau aus Stahlbeton. Gerade in der Kombination von Holz mit Stahl und Beton brauchen wir deutlich mehr fachliche Kompetenz und Erfahrung aller Planungsbeteiligten. Wir haben uns deshalb schon seit einigen Jahren innerhalb unseres Büros intensiv fortgebildet und den fachlichen Austausch mit den Universitäten unserer dort lehrenden und forschenden Büropartner intensiviert. Zudem ist eine bestmögliche Koordination zwischen allen am Bauen beteiligten Fachleuten wie dem Brandschutz, der Tragwerksplanung, der Bauphysik und der Haustechnik notwendig.
Neuhausen und insbesondere das St.-Vinzenz-Viertel ist ein schönes, lebenswertes und gewachsenes Münchner Quartier. Es besticht von der Nymphenburger Straße her gesehen durch viele Gründerzeitgebäude und schafft dann ab Mitte der Gabrielenstraße einen gelungenen bauplastischen Übergang zu neueren Bauten der Nachkriegszeit.
Wir bekommen nicht so oft die Möglichkeit, innerstädtisch in einem derart dichten Quartier einen solch großen neuen Baustein einzufügen. Deshalb war unser Ziel, auch über die farbige Fassadengestaltung Akzente zu setzen, die sich wohltuend in die Umgebung einfügen und zudem einen messbaren ökologischen Fußabdruck hinterlassen, den auch die künftigen Nutzer und Passanten zu schätzen wissen. Die Lage, die Aufgabenstellung und die besonderen Ambitionen von Bauwerk sind prädestiniert dafür, ein solches Vorhaben an diesem Ort umzusetzen. Es sollte am Ende auch zeigen, dass es kontextuell in dicht gewachsenen und traditionellen Stadtteilen wie Schwabing, Bogenhausen oder der Maxvorstadt durchaus möglich ist, Gebäude mit einem hohen Anteil an Holzwerkstoffen künftig beim Bauen im Bestand oder im Neubau zu implementieren.
Das Begrünungskonzept haben wir gemeinsam mit Bauwerk, dem Hersteller GKR, der Landschaftsarchitektin Monika Schüller und der Landschaftsarchitektin Swantje Duthweiler von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf entwickelt. Auch hier tragen wir den klimatischen Veränderungen und gesellschaftlichen Diskussionen Rechnung, indem wir unser spezielles Grünkonzept für die Höfe und die Fassaden noch stärker und erlebbarer in den städtischen Raum einbringen.
Die eingesetzten regionalen Pflanzen wirken als Luftfilter und als Wasserspeicher. Das hilft uns, künftig nachhaltiger mit den steigenden Niederschlagsmengen umzugehen, die wir im Kreislauf auch für die Bewässerung der Pflanzen einsetzen wollen.
Die Auswahl und Platzierung der Pflanzen haben jedoch auch gestalterisch eine wichtige Bedeutung für unser Konzept. Durch die Kombination der farbigen Fassade mit der Farbigkeit der Pflanzen wollen wir die architektonische Gestaltung mit der Natur überlagern. Wenn sich die farblichen Akzente der Pflanzen im Laufe eines Jahres verändern, schaffen wir zudem ein variierendes Erscheinungsbild des Ensembles. Gleichzeitig bringen wir den Nutzern im Alltag die Natur so nah wie möglich. Und den Bewohnern bietet sich auch auf den Balkonen die Möglichkeit des Urban Gardening.
In den Städten und auf dem Land werden aktuell immer mehr Gebäude mit Holz gebaut – die benötigten Mengen nehmen also deutlich zu. Deshalb müssen wir angemessene und kluge Wege finden, wie wir diese kostbare und natürliche Ressource verantwortungsvoll nutzen und einsetzen können.
Wir sollten uns wieder verstärkt dem Holzständerbau und seinen besonderen Möglichkeiten widmen. Hier zeichnet die Entwicklung der letzten Jahre ebenfalls einen enormen Innovationsschub in der Baubranche vor, vor allem bei den Hybridbauten. Deshalb gehe ich davon aus, dass der Hybridbau aus Holz in Kombination mit anderen Materialien wie Mauerwerk, Lehm oder Ultraleichtbeton eine große Zukunft im europäischen Städtebau haben wird.
Bildmaterial:
© allmannwappner
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