Sucht man online nach der Interior Designerin Nora Witzigmann, googelt man lange vergeblich. Interviews und Berichte über sie und ihre Projekte sind zwar auffindbar, aber eine Website, die ihre Arbeit zeigt, oder ein Instagram Account existiert nicht. Wir trafen die sympathische Münchnerin zum Tee. Ein Gespräch über ihre Karriere, ihre Zeit in New York und über das Projekt New Perspectives: Van B Editions.
April 2024
„Ich bin seit 25 Jahren Interior Designerin, aber ich fliege gerne unter dem Radar“, erzählt sie lachend, als wir sie in ihrem charmanten Büro im Münchner Glockenbachviertel besuchen. „Interessenten, die mich kontaktieren, haben sich mit meiner Arbeit schon beschäftigt und bereits eine Sympathie dazu entwickelt.“ An ihre Aufträge für private Häuser und Wohnungen oder Restaurants und Hotels kommt sie meist durch Empfehlungen oder „Zufallsgeschichten“, erzählt sie. Mal ist es jemand, den sie im Zug kennenlernt und der sie um Unterstützung bei der Einrichtung seiner Wohnung bittet, mal wird ihre Telefonnummer von Freunden, Bekannten oder Geschäftspartnern einfach weitergegeben.
Dass Nora Witzigmann ihren Beruf und damit auch ihre Berufung gefunden hat, bezeichnet sie selbst als Schicksal. Während ihres Film- und Theaterstudiums in Wien und Los Angeles liebäugelte sie kurzzeitig mit einer Karriere im Bereich Bühnenbild. Sie merkte jedoch schnell, dass sie diesen Weg nicht dauerhaft einschlagen wollte. Es zog sie schon immer in die Ferne. „Hier ist alles so eng“, sagt sie über München, die Stadt, in der sie aufgewachsen ist. Ohne einen Job oder einen konkreten Plan zu haben, tauschte sie kurzerhand ihr Auto gegen ein Ticket nach New York City. Kurze Zeit später erhielt sie von einer Freundin die Telefonnummer eines Büros für Innenarchitektur. Das Unternehmen arbeitete mit vielen europäischen Kunden zusammen. Eine Mitarbeiterin aus Europa könnte dem Team guttun. Und genau so war es auch.
„Als ich anfing, für das Interior Büro zu jobben, war meine erste Kundin eine sehr anspruchsvolle Dame aus Österreich. Sie trug einen langen Pelzmantel und sie hatte sich gerade eine Wohnung in der 5th Avenue gekauft. Da ich die Einzige war, die sich mit ihr verständigen konnte, habe ich mit ihr zusammengearbeitet. Es hat sehr viel Spaß gemacht und so bin ich eben geblieben.“ Der Liebe wegen kehrte sie einige Jahre später in die Isar-Metropole zurück. Als sie nach Deutschland zurückkam, gab es den Job „Interior Designer“ noch gar nicht. „In New York war es schon damals ganz normal, einen Interior Designer aufzusuchen, um seine Wohnung ausstatten zu lassen. In Deutschland hingegen kam das erst viel später an. Hierzulande ist man selbst in die Möbelhäuser gefahren und hat sich sein Wohnzimmer eingerichtet.“
Die sympathische Münchnerin gehört heute zu den besten Interior Designern Deutschlands und zählt auch aktuell zu den AD 100. Das ist die Liste der wichtigsten Kreativen im Jahr 2024, die von der Redaktion des Magazins Architectural Digest bestimmt werden. Selbstverständlich wurde sie auch für das Projekt New Perspectives: Van B Editions angefragt: Zehn Designer waren eingeladen, zehn Dachgeschosswohnungen im Münchner Neubauprojekt Van B individuell auszustatten und zu gestalten. „Zuerst dachte ich, dass ich kein weiteres Projekt annehmen kann, da ich zu diesem Zeitpunkt bereits voll ausgelastet war. Letztlich fand ich jedoch das Konzept sehr spannend, da es so viele unterschiedliche Arbeitsweisen und Stilrichtungen auf einem Stockwerk vereint. Außerdem hat Tobi von Holzrausch mich mit seiner Begeisterung für dieses mutige Pionierprojekt angesteckt.“
Für Nora Witzigmann ist es wichtig, ein echtes Gegenüber zu haben, das das Bedürfnis hat, sich selbst durch räumliche Gestaltung auszudrücken – ganz gleich ob, es sich um ein privates Projekt handelt oder eines im Rahmen der Gastronomie oder Hotellerie. Aber wo fängt man an, wenn man nicht weiß, wer künftig die 48 m² große Dachgeschosswohnung der Infanteriestraße 14 bewohnen wird?
„Als ich den Grundriss sah, habe ich als erstes die Wand eingezeichnet, die die Treppe verdeckt“, erzählt Nora. Sie meint, dass Treppen meist Unruhe stiften, da sie einen Ort andeuten, der im Raum gar nicht wahrnehmbar ist und ihm auf diese Weise die Energie rauben. Eine rein subjektive Entscheidung. Nach dem Prinzip „form follows function“ wurde auf der Fläche unter der Treppe der Kleiderschrank integriert.
Nora findet, dass die für Van B typischen bodentiefen Fenster leicht den Eindruck erwecken, man könne herausfallen. Dies gelte vor allem bei kompakteren Grundrissen. „Ich habe dem Raum durch die Sitzbank unterhalb der Fenster optisch ein Ende verliehen. Wie auf einem Sofa, kann man dort richtig schön lümmeln, zum Beispiel beim Lesen, und sie bietet zudem einen dritten Platz am runden Esstisch“, erklärt sie uns.
Die Designerin ist überzeugt, dass in Apartments und Hotelzimmern das Bett der Hauptdarsteller ist, da es eine große Fläche ausfüllt. Dass die Tagesdecke mit dem außergewöhnlichen Muster zum künstlerischen Highlight wird, ist daher nur folgerichtig. Das grafische Muster in Blautönen ist inspiriert von einem Werk der russischen Malerin Ljubow Sergejewna Popowa aus den 1920er Jahren. „Ich habe es irgendwann zufällig entdeckt und auf meinem PC gespeichert. Als es um das Plaid ging, wollte ich es nach diesem Muster gestalten und habe die entsprechenden Stoffe ausgesucht. Solche kleinteiligen Arbeiten mit vielen Details liebe ich ganz besonders. Die Decke hat eine befreundete Polsterin von Hand genäht. Sie ist also ein echtes Unikat.“ Ihre Liebe zu besonderen Stoffen entdeckte Nora während ihrer Zeit in New York. „Dort war ich sehr oft in einem bestimmten Gebäude, in dem es nur Stoffe gab. Man konnte sich von der obersten Etage nach unten arbeiten und alles über verschiedenste Materialien lernen“, erinnert sie sich.
Das, was an der Wand über dem Bett hängt, ist jedoch genauso wichtig, wie das, was darauf liegt. Über dem Kopfteil befinden sich zwei Bilder mit dezenten Schwarz-Weiß-Motiven von Sebastian Rickert, einem Künstler, dessen Arbeit Nora schon lange verfolgt. Sie sind die Antwort auf die Frage, wie viel Kraft soll die Kunst haben, wie subtil kann sie sein und wie wird sie verstanden, von der Person, die in dieser Edition wohnt?
Die Position des Bilderpaares ist weder zum Bett noch zur Wand symmetrisch, sondern wirkt versetzt. „Ich spiele gerne mit Brüchen“, meint Nora. Aus diesem Grund seien auch die beiden Lampenschirme links und rechts vom Bett unterschiedlich groß. Durch diese Entrückungen wirke ein Raum größer, findet sie. Größer wirkt diese Van B Edition auch durch das Tageslicht, das durch die verspiegelte Fläche an den Küchenschränken und dem großen Spiegel an der Eingangstür reflektiert wird. Und ganz gleich wer einzieht: Für einen Ganzkörperspiegel ist jeder dankbar, egal ob Mann oder Frau.
Im Gegensatz zu ihrem Kollegen Fabian Freytag, der die Wohnung in Van B mit einem ähnlichen Grundriss für sich selbst entworfen hatte, erschien das für Nora unmöglich. „Wenn es um mich selbst geht, kann ich mich nur schwer für etwas entscheiden. Meine Kinder haben mir eine Zeit lang gar nicht geglaubt, dass ich Interior Designerin bin, da wir nach jedem Umzug sehr lange aus Kisten gelebt haben. Für meine Kunden finde ich schnell die richtigen Möbel und Designs. Bei mir selbst dauert es ewig, bis ich einen Schrank oder einen Tisch aussuche“, lacht sie.
Aus diesem Grund hat sie sich für ihre Van B Edition einen Bewohner ausgedacht. „Auf den ersten Blick erschien mir der Grundriss maskulin. So dachte ich zunächst, ich würde die Wohnung für einen Mann gestalten. Doch das hat sich im Verlauf des Projektes geändert. Inzwischen kann ich mir dort auch eine Frau sehr gut vorstellen“, meint Nora. Wahrscheinlich wird es eine Person sein, die regelmäßig beruflich in München unterwegs ist und sich ein echtes Zuhause wünscht, in dem man sich wohlfühlt. Eine Person mit internationalem Charakter, die die Nähe zum Flughafen schätzt und ihre Zeit gerne in einem aufstrebenden Viertel von München verbringt.
Ist diese Van B Edition ein typisches Nora Witzigmann Projekt? Lässt sich eine eindeutige Handschrift erkennen? „Nein“, antwortet sie. „Da ich immer wieder bei null anfange, gibt es keinen roten Faden, der sich durch meine gesamte Arbeit zieht – auch wenn einige Betrachter das anders wahrnehmen. Jedes meiner Projekte verläuft anders und ist auf seine eigene Weise einzigartig und individuell.“ Mit Blick auf die Van B Edition Nora Witzigmann können wir nur zustimmen.
Bildmaterial:
© F|DREI agency/AD Germany
© Nora Witzigmann
© Philipp Langenheim & Corina Schadendort
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